Tourbericht – 04.03.2021

Datum: Donnerstag, 04.03.2021

Ich kann mich entscheiden, mich heute mit Obdachlosigkeit zu befassen. Andere können das nicht. Sie sind jeden Tag von Obdachlosigkeit betroffen, sie haben nicht die Freiheit der Entscheidung.

Nach ein paar schönen, warmen Tagen ist das Wetter heute wieder schlechter. Nass und kälter. Wir treffen daher auch weniger Klient*innen, denn in der Innenstadt gibt es wenige geschützte Orte für sie. Gleich am Anfang unserer Runde warten ein paar Klient*innen, sie sind uns schon entgegengekommen. Wir erhalten Dankbarkeit, Dankbarkeit für kleine Wünsche, die letzte Woche geäußert wurden und an die wir gedacht haben. Eine Probiertube Gesichtscreme zum Beispiel, eine Mundspülung. Im Nieselregen laufen wir weiter. Bis zum Bahnhof werden wir nur auf wenige Klient*innen treffen und kurze Gespräche haben.

Die Bahnhofseingänge haben schützende Vordächer, da treffen wir auch wieder auf mehr Menschen. Doch hier dröhnt auch die klassische Musik. Für den schnellen Passanten mag es wie eine nette Einladung ins Bahnhofsgebäude klingen. Für alle anderen, die hier länger verweilen, wird es aber zu einem lauten, störenden Dröhnen, das sie vertreiben soll. Wie ein hübscher Violinenkoffer, in dem eine geladene Waffe steckt.

Schutzsuchende sollen hier keinen Schutz finden. Menschen, die in ihrem Leben keinen besseren Ort haben als die Vordächer der Bahnhöfe, sollen auch hier vertrieben werden. Wohin sie dann gehen sollen, interessiert nicht.

Auf dem Rückweg Richtung Büro kommen uns noch ein paar Leute entgegen, denen wir heißen Kaffee oder Tassensuppen anbieten können. Sie sagen, dass wir auf dem Ende unserer Runde niemanden mehr antreffen werden, sie kommen gerade aus der Richtung. Die Bäckereispende hatte heute viel süßes Gebäck dabei, davon können wir also jetzt alle Reste ausgeben. Ein Hund schnüffelt noch neugierig am Wagen. Nein, alles schon leer.

Dankbarkeit für Kleinigkeiten erfüllt die Gebenden kurz mit Wärme. Doch eigentlich erfüllt es sie mit Zorn, Zorn über ein System, in dem die einen Dinge achtlos wegwerfen, für die andere dankbar sein müssen. In einem solchen System gibt es keine Gerechtigkeit und keine Freiheit.

von Sandra & Olaf

Im Rahmen unseres Projektes Care Bags sind wir jede Woche Donnerstag mit unseren Bollerwagen in der Innenstadt und am Bahnhof Leipzig unterwegs. Wir verteilen Lebensmittel, Hygieneartikel und andere Sachen an obdachlose und wohnungslose Menschen. – Erfahre hier mehr!