Zwischendurch werden wir nach den Einkaufsgutscheinen gefragt. „Teilweise war es echt unfair letztes Jahr, manche haben mehrere bekommen, während manche auch mal leer ausgingen.“ Das tut uns natürlich sehr leid, wir wollten niemanden bevorzugen. Auch für uns war letztes Jahr vieles neu, mehrere Organisationen haben die Gutscheine verteilt, da konnte es passieren, den Überblick zu verlieren. Am wichtigsten war uns, überhaupt zu helfen, auch wenn nicht alles perfekt war. Wir hoffen, ihr versteht das und verzeiht uns. 
Am Leuschner herrscht gute Laune. Alle freuen sich sehr über uns, wir quatschen eine Weile (natürlich mit Maske und Abstand). Eine Tasse Kaffee geht immer, ein Brötchen auch. Das positive Feedback und die große Dankbarkeit machen uns ein bisschen glücklich.
Aber nur, wenn wir nicht lange drüber nachdenken. Außerdem steht uns eine der schlimmsten Geschichten noch bevor.
Auf dem Weg Richtung Bahnhof gibt es hier und da ein paar Gespräche, auch ein paar Euro werden uns als Spende in die Hand gedrückt. Vor dem Bahnhof spricht uns eine Frau an, sie hat einen kleinen Schmierzettel in der Hand, auf dem „Scharnhorststraße“ steht. Sie sei in Leipzig angekommen, Pass und Geld wurden ihr gestohlen, sie brauche nur eine Unterkunft für die Nacht und habe von der Unterkunft für Frauen gehört. Wir überlegen eine Weile, wie sie dort jetzt am besten hinkommt, zu Fuß sind es immerhin 45min. Wir rufen den Hilfebus an, der hat heute aber Standzeit in Connewitz und könnte sie erst gegen neun abholen, also erst in zweieinhalb Stunden. Zum Glück findet Olaf noch einen Fahrschein in seinem Portemonnaie, den gibt er ihr. Mit der 10 oder 11 kann sie ja direkt durchfahren. Ein Notfallbett ist auch noch frei in der Scharnhorststraße, das haben wir abgeklärt. Zumindest ein kleines Problem gelöst. 
Am Bahnhofseingang finden wir und die Klient*innen uns dann eingekreist von einem Duzend Polizist*innen. Ausweiskontrolle für alle. Wir lassen uns nicht beirren und verteilen unser Zeug. Dann müssen wir weiter, die Polizei bleibt. Können wir wieder nur hoffen, dass keine Platzverweise erteilt werden.
Es wird recht spät, wenn wir noch ein paar Klient*innen in der Innenstadt antreffen wollen, müssen wir uns beeilen. Und so kommen wir zu einer Geschichte, die die tiefsten Abgründe unserer Gesellschaft auf grausame Weise offenbart und uns unsere Hilflosigkeit erbarmungslos vor Augen führt. Zunächst ahnen wir nichts, als wir den letzten Klienten unserer Runde ansprechen. Gern nimmt er einen Kaffee an, auch einen für seinen Kumpel, der gleich wieder da ist. Da nimmt er seine Kapuze ab, die ein großes Pflaster auf seinem Kopf bis jetzt verdeckt hatte. Mit Tränen in den Augen und unendlicher Traurigkeit fängt er an zu erzählen, dass er in der vergangenen Nacht überfallen wurde. Mit einer Fahrradkette hat jemand mehrmals auf ihn eingeschlagen, ihn beklaut, ihn blutüberströmt liegen gelassen. Wegen 5€, die er im Geldbeutel hatte. Er hat es gerade noch geschafft, sich zu seinem Kumpel zum Bahnhof zu schleppen. Als dieser dazukommt, erzählt er uns, wie er sich erschrocken hat, seinen Freund so vorzufinden, alles sei voller Blut gewesen, aber ins Krankenhaus wollte er erst nicht. Der Kumpel ließ natürlich nicht locker, ohne Handy konnte er aber keinen Krankenwagen rufen. Eine Person, die er antraf, war sich zu schade, ihm ihr Handy für den Notruf zu leihen. So hatte er sich schließlich an die Polizei gewandt, der Krankenwagen kam, mit 16 Stichen musste die Kopfwunde genäht werden. Und wir stehen da und können nichts machen. Nur seine Hand halten und ihm zuhören. Da unsere zwei Wagen fast leer sind, gehen wir nochmal zum Büro und packen zwei Schlafsäcke, Isomatten und ein paar Lebensmittel für die beiden ein. Und einen kleinen Talisman – ein kleines selbstgenähtes TiMMi-Monsterchen, das noch von unserem letzten Herbstfest übrig war.
Als wir zurückkommen und den beiden alles übergeben, überkommt den Klienten eine Welle von Emotionen. „Ich habe so lange kein Geschenk bekommen“, sagt er mit zittriger Stimme, und fragt uns mit flehenden Augen, ob wir nächste Woche wiederkommen.
Sicherheit: ein Grundbedürfnis. Anteilnahme: auch.
von Sandra & Olaf